Über Die Migration, Das Unternehmertum, Leadership und Historische Narrationen
Im letzten Artikel sprachen wir über Migration als ‘transformatorische’ Erfahrung und Kunst als Werkzeug der Befreiung, das wir bewusst nutzen können, um unsere eigenen Migrationswege besser zu verstehen und zu verarbeiten, wenn wir bereits in einer neuen Heimat angekommen sind. Dieser Artikel stellt erneut die Arbeit von Unternehmern mit Migrationshintergrund im Kunstbereich in Berlin vor. Anders als beim letzten Mal setzt er jedoch die Arbeit einer bestimmten Kunstgalerie und ihres Gründers, nämlich Savvy Contemporary und Dr. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, in den Fokus. Darüber erzählt er eine kurze Geschichte von Kamerun, dem Heimatland von Bonaventure Ndikung und erklärt, warum die Kunst auf eine ‘partizipatorische Weise’ präsentiert bzw. erlebt werden muss.
Auf Den Spuren Der Vergangenheit: Savvy Contemporary’s Gründer Aus ‘Ongola’
Dr. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung wurde 1977 in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, geboren, die, wie das Goethe-Institut betont, „in einer bergigen Gegend […] umgeben von sieben Hügeln” liegt. Der Name der Stadt leitet sich vom Ewondo-Namen ‘Ongola’ ab, den Ongola Town kurz und bündig mit ‘Zaun’ übersetzt und mit „der Mauer des ehemaligen deutschen Postamtes” in Verbindung bringt. Letzteres erinnert daran, dass Kamerun einst eine deutsche Kolonie war, und zwar im 19. Jahrhundert von 1884 bis 1916. Danach übernahmen britische, französische und belgische Truppen das Land und teilten es auf der Grundlage der Völkerbundvereinbarungen vorübergehend in das ‘französische Kamerun’ und das ‘britische Kamerun’ auf.
Da „deutsche [Kolonisatoren] die erste Karte Kameruns [gezeichnet] haben”, wie Willibroad Dze-Ngwa in einem Artikel aus dem Jahr 2015 feststellte, ist es nicht verwunderlich, wie viele verschiedene Sprachen, Ethnien und Kulturen das Land tatsächlich beherbergt. Kamerun ist ein Schmelztiegel. In den Worten der UNESCO ist es „ein Beispiel für die Vielfalt in der Welt” mit einem sprachlichen Erbe von mehr als 240 Sprachen. Am 1. Januar 1960 erlangte das französische Kamerun seine Unabhängigkeit und wurde zur Republik Kamerun, und am 1. Oktober 1961 vereinigte sich ein Teil des britischen Kameruns mit der Republik Kamerun, die fortan bis 1972 zur Bundesrepublik Kamerun wurde. Von den 27,8 Millionen Einwohnern Kameruns leben 4 Millionen in Jaunde, was in etwa der Einwohnerzahl von Douala entspricht, das häufig als Wirtschafts- und Industriezentrum Kameruns bezeichnet wird.
Die 1970er bis 1980er Jahre waren in Kamerun von zahlreichen Veränderungen geprägt. Wie die kamerunische Botschaft in den Vereinigten Staaten erklärt, „wurde 1972 die Föderation durch eine neue Verfassung durch einen Einheitsstaat mit dem Namen Vereinigte Republik Kamerun ersetzt”, was zu Spannungen zwischen den französisch- und englischsprachigen Gebieten Kameruns führte, da Ost- und Westkamerun eben zu einer Einheit wurden. Später, im Jahr 1975, wurde Paul Biya zum Premierminister der Vereinigten Republik ernannt, und 1984 änderte Biya den Namen Kameruns in ‘La République du Cameroun’, was als ein Schritt zur Marginalisierung der anglophonen Bevölkerung Kameruns wahrgenommen wurde, wie Bang und Balgah in einem Artikel aus diesem Jahr mit dem Titel ‘The ramification of Cameroon’s Anglophone crisis: conceptual analysis of a looming „complex disaster emergency”’ argumentieren.
Die ‘anglophone Krise’, das heißt der Bürgerkrieg in Kamerun, der ursprünglich mit friedlichen Protesten im Jahr 2016 begann, scheint ein ‘Sezessionskrieg’ zu sein, wie Foreign Policy schreibt. Wie die Deutsche Welle bemerkt, „wollen die Separatisten in den anglophonen Regionen ihren eigenen Staat, der Ambazonia genannt werden soll”. Es ist zwar einfach, diesen Konflikt den Separatisten in die Schuhe zu schieben, doch Bang und Balgah erinnern daran, dass auch die Fehlentscheidung der Regierung, friedliche Demonstrationen zu unterdrücken, zu dem bewaffneten Konflikt und Gewaltausbrüchen geführt hat. Gerade weil der Konflikt in Kamerun immer noch andauert und viele Kameruner mit den Folgen von Armut und Vertreibung zu kämpfen haben, kann die Kunst ein Medium darstellen, das ermöglicht aktuelle Ereignisse zu dokumentieren, wie es auf der Website von Savvy Contemporary heißt, die 2020 auch das Projekt ‘Eye Tok Say…Abakwa Photography’ durchführte, um die Geschichte von Bamenda bzw. Abakwa, einer Stadt im Nordwesten Kameruns, während des Konflikts zu erzählen.
Savvy Contemporary, The Eye Tok Say…Abakwa Photography Project & Mehr
Savvy Contemporary unterstützt eine Vielzahl von Künstlern mit diversen Hintergründen und verschiedenen Kunstformen, und hat sich zum Ziel gesetzt, die „poetische Kraft der künstlerischen Praxis” freizusetzen sowie verlorenen Stimmen Gehör zu verschaffen. Dies unterstreicht, dass die Kunstpraxis von Savvy Contemporary von einem Verständnis der eigenen Privilegien und gesellschaftlichen Missständen wie der Fremdenfeindlichkeit, dem Rassismus, wirtschaftlichen Ungleichheiten und Klassenunterschieden usw. geprägt ist. Wie auf der Website von Savvy Contemporary zu lesen ist, versteht sich die Ausstellung als „ein Raum für epistemologische Vielfalt” – was einige der Ansichten von Boaventura de Sousa Santos, einem emeritierten Professor für Soziologie an der Universität Coimbra, bestätigen könnte. Wie Boaventura de Sousa Santos, João Arriscado Nunes und Maria Paula Meneses in ihrem Artikel ‘Opening Up the Canon of Knowledge and Recognition of Difference’ schreiben, „gibt es keine globale soziale Gerechtigkeit ohne [eine] globale kognitive Gerechtigkeit”. Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass wir immer wieder Perspektiven wechseln und verschiedene Theorien anwenden müssen, um dieselben Phänomene wirklich und aufrichtig zu untersuchen, bevor wir jegliche Schlussfolgerungen ziehen können.
Ein weiterer Punkt, der in dem letztgenannten Artikel angesprochen wird, ist, dass Kultur- und postkoloniale Studien den Multikulturalismus zwar von Blickpunkt der ‘Mobilität’ und die ‘Migration’ aus untersucht haben, dies eben aber nicht ausreicht. In der Tat sollte nicht übersehen werden, dass die Multikulturalität, und vermutlich auch ganz allgemein – die Diversität, die Möglichkeit der Existenz von Unterschieden und Gemeinsamkeiten nicht ausschließen…Migranten als „Others” im Sinne von Edward Said darzustellen, bedeutet auch die Mobilität, bzw. Mobilitätsströme, einfach mit dem Prinzip der Differenz gleich zu setzen, und dies ist ein Problem, das auf der Vorstellung beruht, dass Kulturen an die Grenzen von Nationalstaaten gebunden sind. Ironischerweise ist diese Sichtweise auch deshalb widersprüchlich, weil Vielfalt und Multikulturalität schon immer in Nationalstaaten zu Hause war. Wie bereits erwähnt, ist Kamerun ein sehr vielfältiges Land, und das gilt auch für die Stadt Bamenda.
Letzteres wurde indirekt durch das Projekt ‘Eye Tok Say… Abakwa Photography’ von Savvy Contemporary veranschaulicht, bei dem die Bevölkerung von Bamenda eingeladen wurde, Fotos ihrer Stadt, der umliegenden Landschaften und der verschiedenen kulturellen Traditionen inmitten des kamerunischen Bürgerkriegs zu machen und beizusteuern, etwa ein Jahr bevor auch konkret Unruhen in Bamenda ausbrachen. Warum die Fotografie dabei zum gewählten Medium wurde? Wie Savvy Contemporary schreibt, „weil sie ein Werkzeug der Reflexion und ein Vermittler bestimmter Realitäten ist”. Doch während sich Identitäten wahrscheinlich durch die Fotografie imaginieren lassen, lassen Fotografien auch Raum für unterschiedliche Interpretationen und Projektionen. Insofern ist es vielleicht interessant zu wissen, dass Savvy Contemporary sich bemühte, ihr aktivistisches Fotoprojekt durch andere Veranstaltungen wie einen Poetry Slam und Interviews bei ABK Radio, einem Radiosender mit Schwerpunkt auf lokalen Themen, zu begleiten, die aber auch dazu dienten, die Bürger über das Fotoprojekt zu informieren. Während die eingereichten Fotografien kaum online verfügbar sind, ist dies sowohl im Hinblick auf den anhaltenden Konflikt als auch auf die Tatsache sinnvoll, dass die historische Dokumentation von Konflikten und konfliktbezogener Kunst keine ‘Ware’ in den Händen anderer Staaten sein sollte.
Der letzte Punkt könnte tatsächlich widerspiegeln, warum es heute wiederum wichtig ist, Künstler aus Kamerun und anderen afrikanischen Ländern in Deutschland zu unterstützen. In seiner Vergangenheit hat Deutschland eine Reihe von Artefakten aus Afrika gesammelt, ohne sie in vollem Umfang zurückgeben. Im Jahr 2020 restituierte Deutschland jedoch die Tangue, eine traditionelle Skulptur aus Kamerun, aus dem Museum Fünf Kontinente in München. Während der letztere Akt etwas Hoffnung aussendete, kam 2021 eine weitere Diskussion über die Rückgabe afrikanischer Schätze auf, als das Humboldt-Forum in Berlin über die Ausstellung des „Throns aus dem Königreich Bamum” diskutierte. Während diese Diskussion auch eine Debatte darüber beinhaltete, ob der Thron ein Geschenk an den deutschen Kaiser oder ein Beweis für die ‘koloniale Unterwerfung’ war, scheint es wichtiger zu erwähnen, dass das Recht auf Erbe auch mit der Wiederherstellung historischer Rechte in der Gegenwart verbunden sein sollte.
Savvy Contemporary steht symbolisch und praktisch für genau diesen Akt. Afrikanischen Künstlerinnen und Künstlern eigene Räume in der deutschen Gesellschaft zu ermöglichen, in denen ihre Kulturen mit Aspekten der ‘deutschen’ Kultur verschmelzen und sich von ihnen abgrenzen können, bedeutet, Räume der Repräsentation zu schaffen. Hoffentlich sind es genau solche Räume, die es uns ermöglichen, mehr und mehr Bewusstsein für die Notwendigkeit zu schaffen, historische Gerechtigkeit in der Gegenwart einzufordern. Als das Humboldt-Forum im September 2021 wiedereröffnet wurde, nachdem Demonstranten die Rückgabe von Raubkunst an Afrika gefordert hatten, war es eine afrikanisch geführte Organisation, nämlich Berlin Postkolonial e.V., die diesen Akt zu Recht kritisierte. Wenn wir nicht zulassen wollen, dass sich die gleichen Muster der Geschichte fortsetzen, müssen wir aufhören, so zu handeln, wie es unsere Vorfahren getan haben. An dem festzuhalten, was uns nicht gehört, und koloniale Kunst ohne die Erlaubnis der Völker zu zeigen, die von den europäischen Imperialisten kolonisiert und zu Opfern gemacht wurden, bedeutet, weiterhin so zu tun, als sei die Geschichtsschreibung ein einseitiger Akt.
Da wir uns unserer eigenen Privilegien bewusst sind, müssen wir (in diesem Fall) den Kamerunern erlauben, solche Ausstellungen zu leiten und die Geschichte(n) um sie herum aus ihrem Blickpunkt zu erzählen. Savvy Contemporary ist aufgrund seiner Führung, seines vielfältigen Teams und der Prinzipien von Performativität und Partizipation eine großartige Initiative – ‘Colonial Neighbours’, das „partizipative Archiv- und Forschungsprojekt zur deutschen Kolonialgeschichte” von Savvy Contemporary, bietet vornehmlich Raum für Diskussionen, und dieser Raum wird dringend benötigt, um ein Bewusstsein für Rassismus in der heutigen Gesellschaft zu schaffen. Wie ein Artikel der Deutschen Welle vom Januar 2022 zeigt, wurden zwei Experten auf dem Gebiet der kamerunischen ‘kolonialen’ Kunst trotz des feierlichen Akts der Restitution der Tangue vor zwei Jahren die Einreise nach Deutschland verweigert, angeblich wegen fehlender Geburtsurkunden ihrerseits. Verschiedene Nachrichtenagenturen behaupteten stattdessen, dass die Verweigerung der Einreise ‘institutionellen Rassismus’ widerspiegele. Wie die Deutsche Welle nach einem Interview mit Yrine Matchinda und Lucie Mbogni Nankeng verkündigte, ist wohlgemerkt „der Kontext entscheidend” – und als solcher muss sich die deutsch-kamerunische internationale Zusammenarbeit auf die Wiederherstellung der gesamten und vielfältigen ‘Weisheit’ konzentrieren, die den geraubten Artefakten innewohnt.
Letztere Aufgabe ist deshalb so wichtig, weil Kunst, wenn sie ‘statisch’ wird – eben so wie eine bloße Darstellung von Objekten die mit ein paar eindimensionalen Fakten geschmückt sind, zu einer Quelle gesellschaftlicher Spaltung wird und ihre Fähigkeit verliert, Geschichten (nach) zu erzählen. Es ist nicht nur die kamerunische, afrikanische und asiatische Kunst, die in deutschen Museen anders (re-)präsentiert werden muss – in der Tat haben alle Formen und Ziele der Kunst einzigartige Ursprünge und diese müssen zweifelsohne viel genauer untersucht werden bevor sie ‘inszeniert’ werden. Wie der amerikanische Rapper Mos Def sagte: „Afrikanische Kunst ist funktionell, sie dient einem Zweck [bzw. hat einen Sinn]. Sie schlummert noch vor sich hin. Sie ist kein Mittel, um den größten Beifall zu ernten. Sie sollte eine Heilung sein, eine Quelle der Freude [die] [p]ositive Schwingungen verbreitet”…
Centurion Plus
Wenn Sie ein/e schwarze oder afrikanische Gründer*in oder ein/e schwarzer oder afrikanischer Gründer*in in Berlin oder einer anderen deutschen Stadt sind, würden wir uns besonders freuen, Sie auf dem Weg zum unternehmerischen Erfolg zu unterstützen! Natürlich auch, wenn Sie nicht zu dieser Community gehören – denn eines unserer Prinzipien ist die Förderung von Vielfalt und Inklusion durch das Unternehmertum! Unser Team ist nicht nur auf verschiedene afrikanische Rechtsordnungen spezialisiert, sondern auch auf die Unterstützung von Unternehmen zwischen Deutschland und Afrika in einer Vielzahl von Rechtsbereichen. Unsere Unterstützung beginnt mit der Hilfe bei Immigrations- und Relocation-Angelegenheiten, aber das ist noch nicht alles – Steuern, Tech, geistiges Eigentum…Sie haben uns gehört! Erfahren Sie noch heute mehr über potenzielle Synergien, indem Sie uns Ihre Geschäfts- oder Expansionsidee bzw. Ihren Expansionsplan unterbreiten – wir freuen uns darauf, von Ihnen zu hören! Wenn Sie eine allgemeine Anfrage haben, zögern Sie natürlich auch nicht, uns zu schreiben!