Madrid, Februar 2021 – Am 11. Februar 2021 präsentierte der spanische Premierminister und Vorsitzende der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) Pedro Sánchez im Moncloa-Palast in Madrid Spaniens ‘Strategie der unternehmerischen Nation’ (Estrategia España Nación Emprendedora). Sánchez versprach in seiner Rede, dass das dazugehörige Start-up Gesetz „Verwaltungsformalitäten erleichtern [und] dazu beitragen wird, vielversprechende Talente zu […] gewinnen [;] eine stärkere Konvergenz zwischen Berufsbildung, Hochschulen und aufstrebenden Unternehmen schaffen wird und Steuererleichterungen [sowie] Investitionsanreize beinhalten wird”. Während die Ankündigung von Sánchez auf den ersten Blick vielversprechend klingen mag, wird dieser Artikel die spanische Strategie für eine Unternehmerische Nation eingehend untersuchen und die damit verbundenen Aussichten und Risikofaktoren abwägen.
Ein ‘Spanischer Traum’ – Über Individualismus hinaus?
Wie der Titel vermuten lässt, zielt Spaniens Strategie der Unternehmerischen Nation (Estrategia España Nación Emprendedora) darauf ab, Spanien bis 2030 in eine Start-up-Nation zu verwandeln – eine Anstrengung, die das Land durch eine Reihe von 50 ehrgeizigen Maßnahmen, darunter Prioritäts-, Investitions-, (unternehmerischer) Öffentlicher Sektor-, Skalierbarkeits- und talentbezogene Maßnahmen, erreichen will. Während Letztere darauf abzielen Talente aus der ganzen Welt anzuziehen und zu fördern, ist vorhergesehen, dass diese Maßnahmen über einen Zeitraum von 10 Jahren ab 2021 umgesetzt werden.
Während dieser Zeit will die spanische Regierung auch daran arbeiten, offensichtliche Lücken in der spanischen Gesellschaft, wie das Geschlechtergefälle, die Kluft zwischen den Generationen, die regionale und sozioökonomische Kluft, zu schließen. Mit anderen Worten, Spaniens Strategie der Unternehmerischen Nation beinhaltet die Annahme, dass es ausreicht, der spanischen Start-up-Szene einen angemessenen Schub zu geben um eine integrative Entwicklung zu beschleunigen und die spanische Wirtschaft sowie die individuellen Lebensgrundlagen gleichzeitig zu verändern. Während es sicherlich eine inspirierende Vorstellung ist, dass ‘Diversity & Inclusion’ einfach so ‘durchsickern’ werden, während Spanien seine eigene Version des ‘Amerikanischen Traums’ verfolgt, ist es auch eine Realität, dass der technologische Wandel der Einkommensungleichheit ungeachtet seiner Wichtigkeit zusätzliche Hürden hinzufügt.
Technologischer Wandel, Innovation und Ungleichheit
Lucas Kitzmüller, der für die Development Data Group der Weltbank, die Kennedy School der Harvard-Universität und IDinsight arbeitet, argumentiert: „Der technologische Wandel ist ein Hauptgrund für die zunehmende Einkommensungleichheit”, und die stärkere Integration von KI und Automatisierung in die Gesellschaft wird die sinkende Nachfrage nach Arbeitskräften, Löhne und die Beschäftigung in Berufen mit mittlerer Qualifikation sehr wahrscheinlich noch verstärken. Ironischerweise zu einer Zeit, in der, wie der spanische Ökonom Juan Thomas feststellt, „es oft vorkommt, dass Kellner mehr Geld verdienen als Ingenieure”, da die Tourismus- und Dienstleistungsbranche sowie die Landwirtschaft den größten Teil des spanischen BIP ausmachen. Kurz gesagt, während eine ‘unternehmerische Nation’ hochqualifizierten Bürgern neue Möglichkeiten auf dem spanischen Arbeitsmarkt bieten könnte, ist es auch notwendig zu analysieren und zu untersuchen, wie Technologie-Start-ups und KI die spanische Wirtschaft für andere Arbeitnehmer verändern werden.
Nicht jeder kann Unternehmer sein, sonst könnte die spanische Regierung davon absehen, die Nationale Innovationsgesellschaft (ENISA) als Richtungsinstanz für den innovativen Charakter von Projekten im Rahmen des spanischen Gründungsgesetzes (Anteproyecto de Ley de fomento del ecosistema de las empresas) zu beauftragen. Wie Carlos Sáez, Rechtsanwalt bei Trebia Abogados mit besonderer Expertise im Recht der neuen Technologien, argumentiert, es ist noch unklar, wie die ENISA Innovationen definieren wird. Sollte die Organisation letztere eng definieren, können Start-ups mit ähnlichen Ideen und Dienstleistungen, z. B. in Bezug auf die Bereitstellung von Soft- und Hardware (z. B. Mail-Management), E-Commerce, Lieferplattformen usw., möglicherweise keinen Zugang zu öffentlichen Mitteln und keinen der vorgeschlagenen Anreize erhalten.
Visa-Programm, Berufsausbildungen und Steuerliche Anreize
Auch wenn die spanische Regierung bestrebt ist, durch ein neues Visa-Programm Digitale- und Tech-Nomaden anzuziehen, wodurch das regionale und lokale Konsumniveau aufrechterhalten oder erhöht werden könnte, währenddessen Berufsausbildungen umgestaltet werden um Themen im Zusammenhang mit Entrepreneurship und Business anzusprechen, wird das vorgeschlagene Start-up Gesetz diese Gruppen bei der Gründung wohl kaum unterstützen können. Wie Mercedes Ribero argumentiert schützen Unternehmenssteuersenkungen Start-ups nicht vor Verlusten in ihrer Gründungsphase, weil es eine Weile dauert bis Unternehmen Einnahmen generieren. Gerade in der Anfangsphase werden jedoch Fördermittel benötigt, unabhängig davon ob Start-ups insgesamt einen kleinen oder größeren gesellschaftlichen Beitrag leisten wollen. Neben diesem Problem kritisiert Ribero, dass die Abzüge für Business Angels innerhalb weniger Jahre zurückgezahlt werden müssen, sollte das Start-up nicht innerhalb dieser Frist verkauft werden.
Auch wenn man darüber streiten mag, scheint diese Anordnung darauf abzuzielen, Investitionen um jeden Preis zu erhöhen ohne die Visionen der spanischen Unternehmer und der Gesellschaft, sowie ihr Recht diese Visionen zu besitzen, zu berücksichtigen. Die Betonung der Anwerbung von Talenten aus aller Welt unterstreicht diesen Punkt ähnlich wie die Hervorhebung des Inkrafttreten eines neuen Visa-Programms und des Verzichts auf die Ausländeridentifikationsnummer (NIE) für ausländische Investoren die nicht in Spanien leben. Während die Anwerbung und Ermöglichung ausländischer Investitionen sicherlich zwingend notwendig ist, zielt der Gesetzentwurf nicht auf die durchschnittliche Existenzgründung ab. Dazu gehört unter anderem die Auslegung, dass ein Start-up ein solches ist, das neu gegründet wurde oder nicht älter als 5 Jahre ist, seinen Sitz oder seine Betriebsstätte in Spanien hat und 60 % der Belegschaft einen Arbeitsvertrag im Land haben und die Gründung nicht das Ergebnis eines Zusammenschlussvorhabens ist.
Ein weiterer problematischer Aspekt des Gesetzesentwurfs ist, dass er ein akzeptables Geschäftsvolumen von weniger als €5 Millionen definiert, wenn laut Embroker 2017 das durchschnittliche Series A start-up in den Vereinigten Staaten $12,1 erreichte. Während Europas Gründerszene noch nicht mit dem Silicon Valley mithalten kann, gibt es genügend Start-ups, die mehr als €5 Millionen erwirtschaften, darunter auch jüngere Startups wie Zapper (2020/ €15m), Ki Insurance (2020/ €455m) und The Protein Brewery (2020/ €26m). Mit anderen Worten, Spaniens Entwurf des Start-up Gesetzes ist in Bezug auf allgemeine Kriterien viel zu wettbewerbsorientiert während er zu wenig Spielraum für groß angelegte Innovationen bietet. Darüber hinaus spiegelt der Entwurf nicht die Absicht wider gesellschaftliche Lücken zu schließen. Während die Aufklärung über Unternehmertum ein wichtiger Pfeiler der spanischen Strategie für eine unternehmerische Nation ist, werden unternehmerische Bildung und die Überwachung gesellschaftlicher Missstände (z. B. von Geschlechterunterschieden) nur wirksam sein solange Investitionen und Anreize auch zugänglich sind.
Die Spanische Wirtschaft, die Strategie für eine Unternehmerische Nation und der ‘Spanische Traum’
Wie Thomas bemerkt, ist Spaniens wirtschaftliches Versagen im Moment sehr offensichtlich. Erstens hat sich die derzeitige spanische Regierung ihrer Verantwortung entzogen die Inflation ernst zu nehmen, während die Europäische Zentralbank (EZB) weiterhin Staatsanleihen zu Zinssätzen nahezu Null kauft. Letzteres hält nicht nur einen Teufelskreis aufrecht, der jederzeit zum Staatsbankrott führen könnte, sondern verweist direkt auf ein anderes Problem mit der Einstellung der Regierung zur Arbeitslosigkeit. Anstatt proaktive Lösungen zur Diversifizierung des Arbeitsmarktes zu finden, beschäftigt die spanische Regierung bisher immer mehr Beamte, die der spanischen Wirtschaft nicht unbedingt langfristig zugute kommen, es sei denn die spanische Wirtschaft wird diversifiziert. In der Tat sollte es ein Teil der spanischen Start-up-Strategie sein, den Bürgern zu ermöglichen ihren eigenen Talenten und Träumen zu folgen.
Da Steuererhöhungen die Aussichten auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung nach der COVID-19-Pandemie verfehlt haben, sollte die spanische Regierung dabei bedenken, dass die Lösung sozioökonomischer Probleme, die Ausweitung der Vielfalt und des Zugangs zum Arbeitsmarkt sowie die Einkommensgleichheit im Mittelpunkt stehen sollten – nämlich als Ziel Spaniens’ Strategie für eine unternehmerische Nation. Im Folgenden findet sich Spaniens innovatives Unternehmertumsmodell, von dem gehofft wird, dass es „die wirtschaftliche Produktivität steigern und, durch Impulse für innovatives Wachstum, für so viele Menschen wie möglich qualitativ hochwertige Arbeitsplätze schaffen wird”.
Während das Modell auf den ersten Blick zu suggerieren scheint, dass die Lösung sozioökonomischer Probleme im Sinne einer ‘inklusiven Entwicklung’ bereits eine Priorität des spanischen Gründungsplans ist, ist dies ein Trugschluss. Wie in dem umfassenden Dokument, das die Strategie der unternehmerischen Nation erläutert, dargelegt wird, ist inklusive Entwicklung so zu verstehen, wie sie von den Vereinten Nationen (UN) definiert wird: „[Diese] kann erreicht werden, insofern eine inklusive und gerechte, qualitativ hochwertige Bildung gewährleistet und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle gefördert werden”. Diese Definition unterstreicht erneut was oben argumentiert wurde – obwohl die spanische Regierung behauptet, dass die Bemühungen zur Förderung der unternehmerischen Bildung darauf abzielen eine Start-up-Nation zu begründen, hat sie Bemühungen nicht darauf abgestimmt, junge und qualifizierte Unternehmer durch vielfältige, realistische und skalierbare Unterstützungsprogramme zu belohnen, welche die Bedürfnisse von Gründern mit unterschiedlichem Temperament decken könnten.
Das obige Modell ist bei weitem nicht allumfassend, legt aber nahe, dass inklusive Entwicklung Teil der Vision bzw. Teil des Endziels der spanischen Start-up-Strategie sein könnte. Einige der allerersten Säulen, an denen gearbeitet werden sollte, könnten sich dabei auf Folgendes beziehen: 1) die Überwachung (Monitoring); 2) die Förderung von Investitionen und Aufbau sektorübergreifender, vielfältiger (d. h. mit Schulen, Universitäten, KMUs, Regierungen) Partnerschaften auf verschiedenen Ebenen (d. h. regional, interregional, national, international); 3) die Gestaltung und Durchführung von Bildungsprogrammen in Zusammenarbeit mit Gründerzentren und anderen Netzwerken, die es den Studierenden ermöglichen, Pilotprojekte durchzuführen, um aktiv zur Innovation beizutragen und Erfolge/Misserfolge zu normalisieren; 4) die Bereitstellung verschiedener Unterstützungsprogramme für Unternehmer mit klaren Zielen und Zwecken (d. h. Pilotprojekte zur Stimulierung von Wissensbildung und Investitionen; sektorbezogene Projekte; unbefristete Programme usw.)
Kurz gesagt, der ‘Spanische Traum’ kann nicht auf unverhältnismäßigen Risiken basieren, denen Einzelpersonen ausgesetzt werden während sie ebenso darum kämpfen müssen, sich überhaupt als ‘Start-up’ zu qualifizieren während sie bestens eine eher schlechte Chance auf langfristiges Wachstum und Skalierbarkeit erhalten. Stattdessen muss dieser Traum auf dem Aufbau eines Systems basieren, bei dem die Risikobereitschaft auf ein vernünftiges Maß begrenzt werden kann. Nicht nur Unternehmer müssen die Realität der Start-up-Szene ‘(kennen)lernen’, sondern muss diese Szene auch durch die Bemühungen der spanischen Regierung verändert werden. Spanien braucht mehr als nur einen Traum – was Spanien braucht ist eine echte Transformation mit direkten Auswirkungen auf die Karrierewege.
Centurion Plus
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