Die ‘Neokoloniale’ Institution Des IP-Rechts – Die Kontroverse Um Das TRIPS-Abkommen Und Den Globalen Schutz Der Rechte Des Geistigen Eigentums…
Die jüngsten Diskussionen über die Angemessenheit einer neuen Ausnahmeregelung für handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS-Übereinkommen) inmitten der COVID-19-Krise zeigen einmal mehr, dass das internationale Recht zumindest in einigen Fällen die globalen Menschenrechte nicht jederorts gleichermaßen schützt. In dieser Hinsicht bildet das Recht des geistigen Eigentums (IP-Recht) keine Ausnahme. Verschiedene Forscher haben den globalen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums kritisiert und das IP-Recht als eine ‘neokoloniale’ Institution bezeichnet. In diesem Artikel wird untersucht, wie das IP-Recht im internationalen und nationalen Recht rund um den Globus entstanden ist, und er wird eine kurze Einführung in seine Geschichte sowie in die Auswirkungen des TRIPS-Übereinkommens geben. Unser nächster Artikel wird sich dann genauer mit dem afrikanischen und südafrikanischen Kontext des IP-Rechts befassen.
Eine Einführung In Das IP-Recht An Verschiedenen Orten Weltweit
Wie Lodewijk Van Dycke in dem Artikel ‘Accumulation by dispossession and African seeds: colonial institutions trump seed business law’ erklärt, der 2021 im Journal of Peasant Studies veröffentlicht wurde, reicht die Geschichte der Stärkung des IP-Rechts bis in die 1980er Jahre zurück, wobei „das Recht des geistigen Eigentums nach 1980 ein Beispiel für eine neoliberale Politik ist, die darauf ausgerichtet ist private Investitionen von Unternehmen zu schützen, die auf einem liberalisierten Markt konkurrieren”. Van Dycke und Sekalala et al. stimmen darin überein, dass sie das IP-Recht als eine ‘westliche Organisation’ ansehen, die nach Afrika ‘importiert’ wurde, um in erster Linie Investitionen anzuziehen; im Gegensatz zu seinem Ziel, die Überakkumulation im globalen Norden zu begrenzen. Darüber hinaus stimmen sie darin überein, dass das globale IP-Recht irgendwie mit dem Neokolonialismus verflochten zu sein scheint. Wie Sekalala et al. erklären, gingen die Auswirkungen des IP-Rechts sogar so weit, dass afrikanische Länder während der COVID-19-Krise beim Zugang zu Impfstoffen stark benachteiligt waren. Die Forscher bezeichnen dieses Phänomen als „‚Impfstoff-Nationalismus’” und zeigen, wie zu strenge Vorschriften die Impfstoffe für afrikanische Länder, von denen einige eben bereits verschuldet sind, unerschwinglich gemacht haben. Darüber hinaus betonen Sekalala et al., dass kritische Wissenschaftler des Globalen Südens seit langem versuchen, ein Bewusstsein für die fatale Entscheidung zu schärfen, „Eigentumsrechte (d.h. einschließlich geistiger Eigentumsrechte) über andere Rechte (d.h. insbesondere das Recht auf Gesundheit, Leben und den gleichberechtigten Nutzen aus wissenschaftlichem Fortschritt)” zu erreichen.
Während kritische Wissenschaftler eine Verschiebung der Prioritäten als einen fortschrittlichen Schritt hin zur Einbeziehung (geistigem) Eigentum in die internationalen Menschenrechtsgesetze betrachten, haben andere Wissenschaftler das IP-Recht als Ausdruck eines ‘westlichen’ Versuchs interpretiert, Menschenrechte in der Innovation so zu konstruieren, dass der Kolonialismus immer wieder neu aufgelebt gelassen wird. Wie Catherine Sevilla in ihrem Artikel ‘The Emergence and Development of Intellectual Property Law in Western Europe’ erläutert, geht das Patentrecht auf das Mittelalter zurück, als es eher mit „von Staaten gewährten Privilegien” als mit Ansprüchen auf ‘individuelle Erfindungen’ verbunden war. Während sich das Verständnis von Eigentum unter anderem infolge der Aufklärung änderte, zeigt beispielsweise die Art und Weise, wie die Zensur entstand, dass religiöse, politische und wirtschaftliche Faktoren eine Rolle dabei spielten, eine Erfindung für sich zu beanspruchen. Im Laufe der Veränderungen, die in Großbritannien zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert eintraten, deckte das Urheberrecht im Jahr 1837 die Zeitspanne „[des] Leben[s] des Autors plus 60 Jahre” ab.
Wie Mamadou Diawara, Professor für Anthropologie an der Goethe-Universität Frankfurt, anhand von Erfahrungen aus seiner Feldforschung bestätigt, waren in der Vergangenheit Afrikas Musiker und Dichter nicht die wahren Eigentümer ihrer Werke, stattdessen waren es die Herrscher, und während der Zeit des Königreichs von Ghana (4.-11. Jahrhundert), des Mali-Reiches (13.-16. Jahrhundert) und des Songhay-Reiches (14.-16. Jahrhundert) „wurden Werke im Rahmen der Patronat-Klientel-Beziehung zwischen Herrschern und Künstlern produziert”. Wie Diawara betont, entstand das, was wir heute unter dem Begriff ‘Urheberrecht’ verstehen, erst nach der Gründung der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) im Jahr 1967 und der Einrichtung eines Büros in Mali. Und wie Diawara weiterhin unterstreicht, war die Einführung dieses Urheberrechtssystems eine ‘westliche’ Erfindung der Vereinten Nationen (VN), deren Entwicklungsprogramm (UNDP) es zusammen mit der allgemeinen Entwicklung im Globalen Süden förderte. Was in diesem Zusammenhang kritisch erscheint, ist die Tatsache, dass das IP-Recht im Globalen Norden (d. h. Verhinderung von Überakkumulation) und im Globalen Süden (d. h. Anziehung von Investitionen), wie oben erwähnt, unterschiedliche Zwecke verfolgt hat.
Wie Sekalala et. al. außerdem anmerken, könnten TRIPS-Fazilitäten weder das Problem des ‘Impfstoff-Nationalismus’ lösen noch das globale IP-Recht weniger ‘neokolonialistisch’ machen. Wie die Forscher ausführen, sind TRIPS-Fazilitäten erstens nur eine Option für Länder, die entsprechende und begleitende lokale Gesetze eingeführt haben, die den recht zeitaufwändigen TRIPS-Prozess erleichtern. Zweitens wird das globale IP-Recht – ob im Einklang „mit dem TRIPS-Übereinkommen oder mit nachfolgenden bilateralen und multilateralen Abkommen”, nur als „Teil eines umfassenderen Rechtssystems betrachtet, das den globalen Neokolonialismus [in die Welt trägt]”. Vor allem die COVID-19-Krise soll verschiedene Dimensionen widergespiegelt haben, in denen sich neokolonialistische Dynamiken als Folge entsprechender IP-Rechtsrahmen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene gezeigt haben. Gillogly geht sogar so weit zu behaupten, dass „die Industrienationen die Verhandlungen über das geistige Eigentum und den Handel genutzt haben, um die afrikanischen Märkte weiter zu fragmentieren und auszubeuten”, weshalb der Forscher vorschlägt, dass der Aufschwung des Regionalismus in der internationalen politischen Landschaft eine einzigartige Chance darstellt, die TRIPS-Flexibilitäten neu zu verhandeln. Und obwohl letzteres im Widerspruch zu dem Argument steht, dass TRIPS-Fazilitäten nicht wirklich ‘neokoloniale Muster’ neu verhandeln, sollte dieses Argument in Betracht gezogen werden.
Das am 15. April 1994 in Marrakesch, Marokko, unterzeichnete Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums ( das TRIPS-Übereinkommen) wird von der Welthandelsorganisation (WTO) als das „umfassendste multilaterale Übereinkommen über das geistige Eigentum” bezeichnet. Als Teil des Streitbeilegungsmechanismus der WTO kommt dem TRIPS-Abkommen im Hinblick auf die Sanktionen im Welthandel eine besondere Bedeutung zu. Da das Abkommen den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums mit der technologischen Entwicklung und der Innovation verknüpft, könnte sich die Neuverhandlung des Abkommens durchaus in verschiedener Weise auf eine globale digitale Zukunft auswirken. Nach einer Bewertung der Bedeutung des TRIPS-Abkommens 25 Jahre nach seiner Verabschiedung argumentieren Athreye, Piscitello und Shadlen, dass die TRIPS-Fazilitäten im Vergleich zu den de jure und de facto Durchsetzungspraktiken des Schutzes des geistigen Eigentums einen geringen Einfluss haben, wobei Letztere insbesondere in einigen Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen grundlegend voneinander abweichen.
Da das TRIPS-Abkommen feststellt, dass „Rechte des geistigen Eigentums private Rechte sind”, erscheint die Dominanz des Staates und der innerstaatlichen Gesetzgebung beim globalen Schutz des geistigen Eigentums etwas umstritten. Obwohl es gute Argumente gegen einen globalen und insbesondere einen ‘verwestlichten’ Ansatz zum Schutz des geistigen Eigentums gibt, wäre ein globaler Ansatz schon ideal, um zu verhindern, dass Staaten die Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums und ihre Durchsetzung für wirtschaftliche und politische Zwecke instrumentalisieren, die nicht im besten Interesse der Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums liegen. Einerseits wurde die Institution des geistigen Eigentums so interpretiert, dass sie der Regulierung der Märkte dient. Andererseits wurde darauf hingewiesen, dass die TRIPS-Fazilitäten „als exogener Schock dienen, der die Einkommensverteilung zwischen innovativen und nicht-innovativen Unternehmensgruppen verändert”. Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft und – im weiteren Sinne – des Lebens sollte bedacht werden, dass die Replikation ein dominierendes Merkmal, sowohl bestimmter Arten digitaler Innovationen, als auch des Digitalisierungsprozesses insgesamt sein könnte.
Wie Athreye, Piscitello und Shadlen betonen, muss der Schutz von Rechten des geistigen Eigentums mit dem Ziel der Ausgewogenheit einhergehen. Innovationen müssen fließen und dürfen nicht durch das IP-Recht eingeschränkt werden, aber es müssen eben auch Anreize geschaffen werden. Auf nationaler Ebene müssen daher der Umfang der Patentierbarkeit, die geltenden Ausnahmen von den Vorschriften und die Dauer der Patentierbarkeit diskutiert werden. Auf globaler Ebene muss der Status quo der (technologischen) Innovationen wohl ebenso respektiert werden wie andere Aspekte der sozioökonomischen Entwicklung und der (globalen und lokalen) Entwicklung im Allgemeinen. Dieses Argument wird von den letztgenannten Forschern gestärkt, die behaupten, dass das TRIPS-Übereinkommen Länder mit einem großen Markt und einem schwachen Innovationspotenzial quasi dazu ‘gezwungen’ hat, weniger strenge nationale Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums zu ergreifen, um auch weiterhin Investitionen anzuziehen. Eine andere Möglichkeit, den Schutz des geistigen Eigentums auf internationaler Ebene anzugehen, besteht, wie die Forscher weiter erläutern, in detaillierteren Klauseln in Präferenzhandelsabkommen (PTA), wobei insbesondere PTAs zwischen deutlich innovativeren und weniger innovativen Ländern bisher dazu tendieren, solche zu enthalten.
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